Dreiecksplatz deluxe: Wenn Groove fliegt und Soul schwebt
Am Nachmittag noch Regen-Alarm. Scheiben voller Tropfen, die „Woche der kleinen Künste“ kurz vorm Ausnahmezustand. Doch dann – Wetterumschwung deluxe: Wolken ziehen ab, die Bühne trocknet, der Platz füllt sich. Nur das Festivalschild hatte der Wind über das Bühnendach gefegt. Doch egal. Alles andere war filmreif: Regen zum Auftakt, Regen zum Abspann. Dazwischen Sternenhimmel. Und zwei Konzerte, die Herz, Hüfte und Kopf in Dauerbewegung setzten.
Copyright MPRESS Peter Heermann
York startet mit Soundtrack für wilde Sommernächte
19:30 Uhr. Die Sonne bricht durch, York betritt die Bühne. Das Saxophon wie eine Verlängerung des Arms, breites Grinsen, der erste Ton: ein Punch. Was folgt, ist Funk. Groove. Soul. Alles ineinander, alles im Fluss. Wer da noch regungslos blieb, war entweder taub – oder trug die falschen Schuhe.
York Ostermayer, Multi-Instrumentalist aus Hannover, spielt nicht einfach Saxophon, Flöte oder jongliert am Djing, diesem DJ-Pult, das Sounds mixt und neu zusammensetzt – er verschmilzt sie. Zu einem Klang. Zu einem Sound, der in der Luft vibriert und den Boden unter den Füßen wummern lässt, als wäre der ganze Dreiecksplatz eine Tanzfläche. Um ihn herum ein Kollektiv an Könnern: Ralph König an der Gitarre. Er könnte der Bruder von Eric Clapton sein, selbst die Gitarren klingen wie Geschwister – so ähnlich beide in Aussehen und Tonart. Dann ist da Fabian Schubert, „Inas Nacht“-Mann am Klavier, und nicht nur als Yorks Wohnungsnachbar unverzichtbar, sondern auch hier am Piano. Oder Fury in the Slaughterhouse-Bassist Christian Decker mit dem so essentiellen vibrierenden Bassfundament. Doch ohne Kristof Hinz, Drummer und Professor im Groove, wäre das alles nichts und mittendrin diese Stimme: Ulita Knaus.
Die Hamburgerin singt nicht. Sie zieht. Saugt. Lässt den Platz taumeln. Eine Stimme, die keine Einladung ist, sondern ein Befehl zum Tanzen. Und der gelingt auf Kommando: Der Platz vor der Bühne ist gefüllt. Kein Wunder, dass sie schon neben Bobby McFerrin und Udo Lindenberg stand. An diesem Abend ist sie das „Wow“, das silbrig schimmernde Sternenlicht im Set.
Die Band rollt ihre Groove-Wellen über den Platz aus. Sie bricht sie auf, setzt neu zusammen. Funkclub der 70er, Jazz-Energie, Filmmusik-Momente – aber nie verkopft. Immer federnd, immer mit dem richtigen Funken Leichtigkeit. Musiker und Publikum spielen Pingpong: Blicke, Grinsen, Gesten, Tanzen. Das hier ist keine Show, es ist ein lebendiges Spiel.
Am Ende wird klar: Das war kein Opener, das war Film in Cinemascope. Mit Funk im Blut, Grinsen im Gesicht. Und doch viel zu kurz.
Joel Sarakula – Soft Soul unter Sternenhimmel
21:15 Uhr. Der Himmel klar, die Luft mild, erste Sterne leuchten am Himmel wie Konfetti. Bühne frei für Joel Sarakula: Ein Australier mit London-Adresse und großem Herz am Keyboard. Einer, der den 70er-Westcoast-Sound entstaubt, ihn auf Yacht-Rock trimmt, dem Ganzen ein frisches, neues Kleid überwirft – und dabei so klingt, als säße man plötzlich an einer Strandbar bei goldenem Sonnenuntergang, zwischen Hollywood Hills und Meeresrauschen.
Es gibt Soul barfuß im Sand, Funk mit feinem Lächeln, Songs, die klingen wie Erinnerungen an Sommernächte, die man vielleicht nie erlebt hat – und doch sofort vermisst. Steely-Dan-Flair, Toto-Glitzern, dazu dieser warme Bandsound, der dich einwickelt wie eine flauschige Decke.
Die Crew: Alexander Damisch an der Gitarre, Joel-Partner seit vier Alben, malt Doobie Brothers-Vibes in die Luft. Franzose Noah Dayan am Schlagzeug – zurückhaltend, elegant, präzise. Bram’t Hart, niederländischer Bassmann, zieht ein sattes Fundament. Catalina Smit an den Percussions und mit perfekt gesetzten Backgroundvocals setzt die punktgenauen Funk-Sprenkel.
Und Joel? Er singt zwischen Falsett und Flirt, zwischen Intimität und Augenzwinkern. Manchmal so nah, als würde er neben dir sitzen und zart ins Ohr flüstern. Dann wieder ein ironischer Blick, ein kleiner Twist, ein Ton, der tiefer geht, als du dachtest. Das Publikum wippt vor der Bühne, wiegt, träumt, tanzt. Keine Ekstase. Eher ein Schweben zur Musik. Gütersloh im Laurel-Canyon-Modus.
Zum Schluss erzählt Joel vom Jahr 2016. Als Bowie ging, dann noch Prince. Und Trump kam. „Ein schlimmes Jahr.“ Aber: „Das Schlechte hält nicht ewig. Am Ende lernen wir, uns selbst, alle Lebewesen, unseren Planeten zu schätzen und zu lieben.“ Er fragt: „Wollen wir das?“ Der Platz antwortet mit Applaus, Herz, Zustimmung. Tosender Beifall. Zum Finale dann ein heilsames „Understanding“. Ein letztes Stück wie Abendsonne, die in den glitzernden Sternenhimmel übergeht und eins mit ihm wird.
22:45 Uhr: Als wäre alles nur ein Film, ist der Abspann gerade über die Bühnen gegangen, die letzten Harmonien schweben noch über den Platz, kommt der Regen zurück. Mit Macht. Die Jacken sind schnell durchnässt. Doch wen schert’s? Die Leute hier? Kein Problem. Sie haben längst die Sonne im Herzen fest verankert und laufen durch den plätschernden Sommerregen nach Hause.
Birgit Compin, Buchautorin und Journalistin für die Kulturgemeinschaft Dreiecksplatz