WdkK'17 - Der Donnerstag:

Geigenstock & Woodstock!
Muss man sich nach drei so absolut glücklich stimmenden Tagen nicht fragen, ob auch mal was schief gehen darf? Unsere Montag-bis-Mittwoch-Rutsche bescherte inspirierende Künstler, inspirierte Fans, hinter den Kulissen ein harmonisches Team, und – bleiben wir auf dem Teppich – eine Wetterlage, die zumindest nichts verhindert hat: Tingvall Trio eine Dreiviertelstunde (immerhin LP-Länge), Landgren & Haffner 1:10, alle anderen volles Programm. Statt auch nur geringster Patzer heißt es heute „Und am vierten Tag fügte sich alles wie von selbst!“ Echtes Sommerklima und ein richtig voller Platz, ohne dass Mutzke-Massen wieder alle Pommes-Reserven zwischen Rietberg und Ummeln vertilgen. Würden nun auch die Künstler das Niveau der drei tollen Tage halten können? Entspannt Euch.

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Farfarello
Der beseelt-besessene Mani Neumann schwingt seinen Geigenstock seit 1984 mit Gitarrist Ulli Brand, für größere Gigs wird ihr Quartett durch das Streichertrio Ulli Hallbergs, „Vibrace“ verstärkt. Mit ihm präsentiert der romantische Achter mit „Klassikus“ eine Art Czardas-Hymne, gefolgt von „Karpaten“, in die sich Neumann unter verstärkter rhythmischer Akzentuierung von Urs Fuchs (b) und José Cortijo (perc) vertieft. „Lasst Euch nicht auf die falsche Fährte führen“ rät der Chef. Prompt wirkt „ZeitZone“ mit verzerrten Violinen Thriller-tauglich, um flugs für den „Potsdamer Platz“ einer sanfteren Samba Platz zu machen, mit Cortijos exotischen Congas.
„Feuer und Flamme“ interessiert schon wegen seines Rhythmus aus Mission Impossible, während Neumann die „Serenade“ – „aus unserem Fundus der Abendlieder“ (was sonst?) – allein den Damen widmet, „Männer sollen diesen Platz verlassen oder weghören“. Das scheint zum Widerspruch zu reizen, denn in der Ecke dieses Bloggers lauschen die Herren, während sich die Damen viel zu erzählen wissen. Einen weiteren Höhepunkt bildet der Walzer „Am See“, bei dem Neumann auf Alt- und Blockflöten brilliert, um anschließend die „Brandung“ seinem Co-Chef Ulli Brand zu überlassen, der diese Fluten an seiner Akustikgitarre – einfallsreich mit Loops arbeitend – naturnah darstellt. Beide Bosse erscheinen sympathisch süchtig nach ihrer Musik, die mit der mystisch-filmtauglichen „Rhapsodie“ ihren Ausklang findet. Folk & Rock und Klassik werden hier stimmig verschmolzen.

The Miller Anderson Band
Wer nicht an Zufälle glaubt, sondern bewiesen haben möchte, warum Miller Anderson 2017 auf den Dreiecksplatz gehört, der findet gleich drei Indizien (außer der Tatsache, dass Ihr Chronist ihn seit 44 Jahren kennt und unbedingt haben wollte): Unser Montagstrommelchampion Wolfgang Haffner begleitete einige Songs auf Millers Album CELTIC MOON, Dienstags-Queen Madeline Bell sang Backing-Vocals auf seinem BRIGHT CITY, und heute trifft er unerwartet auf Farfarello-Bassist Urs Fuchs: sie waren gemeinsam für das „Tribute to Jon Lord“ des unvergessenen Purple-Pianisten tätig.


Miller selbst hält sich nie mit Vorreden auf – einmal über seine Gitarre gebückt, Pedal getreten und schon werden Bluesrock-Klischees, die wir alle lieben, so verfremdet, dass wir sofort zuhören: „It’s too hot in the winter, it’s cold in the summer time“, Anderson zählt all seine Missgeschicke auf, die ihn durch den Wolf, „Through The Mill“ gedreht haben – Titelsong des neuen Albums. Schnell wird klar, dass dies keine Ein-Mann-Show mit Austausch-Trio à la Chuck Berry ist, sondern eine echte Band: Millers majestätische Stimme und amtliche Gitarrenarbeit entfalten sich auch deshalb scheinbar mühelos, weil Frank Tischer am Hammond-Brett feinste Orgelsounds abruft. Und weil die agilen „Enkel“ – Tommy Fischer (dr) mit Janni Schmidt (b) – das Fundament so aufmischen, dass alle Frequenzen und Groove-Gelegenheiten genutzt werden. Die Bühne wird dabei von Frank Stiller in dunkelrotes Licht getaucht und songdienlich variiert: Dass sich der Lighting Director dabei seine Leuchtsäulen Blues-blau scheinen lässt, spricht wieder einmal für seine sensible Dramaturgie.


Liebhaber erkennen sofort am Thema, dass es nun zum 400.000er Woodstock-Festival geht: „Sinnin‘ For You“ spielte Anderson 1969 als heimlicher (alle Songs schreibender) Leader der Keef Hartley Band: das Wechselbad zwischen wehmütig gespanntem Melodiebogen und knallhartem Boogie wird hier genüsslich ausgekostet: sowohl Mill als auch Tischer legen immer noch ein irres Solo drauf. Dabei können sich die beiden bluesrockigen Sparringspartner blind auf das Soundmanagement von Stefan und Jan te Kaat verlassen, die sich ihrerseits bei der Truppe bedanken für harmonische Kooperation. Wie anders muss das auf der Woodstock-Wiese gewesen sein. Dem Regenmatsch-Chaos geschuldet, musste Miller auf dem Verstärker-Prototyp von Carlos Santana spielen, wie Ehefrau Fiona Anderson sich erinnert: ohne dass auch nur irgendein Regler mit „Volume“, „Treble“ oder „Bass“ glänzte: Blindflug!


Melancholie: So wie Anderson die Deep-Purple-Ballade „When A Blind Man Cries“ mit seiner so klaren wie klagenden Alleinstellungsstimme abruft, kullern die ersten Tränen. Nichts gegen Purples großartigen Sänger Ian Gillan, aber der Song scheint wie für Anderson komponiert. Daher zelebrierte ihn Lord gegen Ende seines Lebens immer wieder mit unserem Gast. Bei dem schlägt die Gegenwart Nostalgie: Die Krise der Geflüchteten bewegte ihn zu der Folk-Anklage „Where Is Your Heart“, über „people displaced by anger“ – eine gerechteren Welt müsste diesen Menschen eine neue Heimat bieten – und den Interpreten mit diesem Kleinod einschlagen lassen (checkt dazu sein YouTube-Filmchen). „City Blues“ von Andersons vorletztem Studio-Album CHAMELEON erweist sich als Lieblingssong einer Zuschauerin in der ersten Reihe – Miller greift das Kompliment dankbar auf und holt vokal wie instrumental alles raus!


Nochmal zurück zur Keef Hartley Band: Das nächste Eingangsriff weist klar auf „Leavin‘ Trunk“, den archaischen, von Sleepy John Estes verfassten Blues von HALFBREED: Dieser Anderson kann sich ruhig vornehmen, ihn wie Hendrix zu spielen: Trotz Wah-Wah-Pedal-Einsatz klingt es immer nach Miller statt nach Jimi. Mit „Overdog“ folgt die Funknummer, die einem weiteren Hartley-Album ihren Namen gab. Anderson führt statt Erinnerungen lieber seine heutige Band vor, Psychedelic Prog ist zurück. Er liefert sich Schlachten mit Tischers Tasten, dann Schmidts Bass – schließlich beweist Janni auf Fischers Groove, dass hier auch ein geslapptes Bass-Solo passen kann. Das „House Of The Rising Sun“ hat nun wirklich jeder gecovert – Miller macht sich auch diese Nummer zu eigen, indem er sie mit ehrlichem Pathos singt und dramatisch inszeniert.
Seit einem Vierteljahrhundert singt Anderson auch bei der Spencer Davies Group Für die neue Europa-Tournee darf er nun – bescheiden eingeflochten – sein eigenes Quartett so nennen. Gründer Spencer und Pete York (mithin Co-Drummer Tommy Fischers) als Gäste ihrer eigenen Legende:  kein Wunder, dass deren „I’m A Man“ hier ins Repertoire findet, gespickt mit Orgel-Gitarren-Duellen und ausgefuchstem Drumsolo und weiterer Basseinlage – Miller lacht, als wolle er sagen „Was machen meine kleinen Jungs da?“
„Boogie Brothers“ – aus Andersons Zeit bei Savoy Brown mit Stadiontourneen durch die USA – die schnelle Nummer der reinen Gitarrenband erhält ein Tischer-Hammond-Solo mit Klassik-Assoziationen, Verbeugung vor Jon Lord? Nahtlos geht es über ins alte Boogie-Schlachtross „Wang Dang Doodle“, für das Miller nochmal die Blues Harp herausholt. Es scheint, als wolle der gesamte Dreiecksplatz endlich mal wieder in Bluesrock baden – keiner geht bis zum 23:00 Uhr Curfew. Dabei hätte es noch eine Stunde so weitergehen können. Ein perfekter Tag und – hey- wieder ganz ohne Jazz.


Uli Twelker für die Kulturgemeinschaft Dreiecksplatz