WdkK'21 - Der Freitag:

Balkan & Bigband-Beats – doppelter Tanz-Rausch weckt Glückshormone!
Freitags-Finale mit berstend gefülltem 3-Ecks-Areal: Temperament, tierisch gute Laune und Tanzwut hielten sich vom Vortag. Nach dem vierten Sensations-Abend darf man zu sagen wagen: Dass das Festival nicht so ganz wie sonst in aller Vielfalt neben Mega-Künsten die „Woche der geilen Dünste“ darstellen durfte, fiel weniger ins Gewicht als befürchtet: Diverse Cafés rund um den Platz hatten ihre Palette erweitert. Lieferten und bedienten mit Charme. Niemand musste hungrig oder durstig bleiben. Fokussiert trat mächtig der Hunger auf ideenreiche, Freude stiftende Klänge hervor – von Frank Stillers Licht-Lava visuell veredelt. Hans-Hermann Strandt weiß – gewürdigt zwischen zwei famosen Formationen – sein Kultur-Credo klar gerettet!

Copyright MPRESS Peter Heermann

RasgaRasga


Babylon by bus – so hieß es einst bei Bob Marley. Für Rasga Rasga – die auch Reggae in ihrer musikalischen Melange führen – gilt eher „Babylon on stage“: In welcher Zunge singen sie gerade: Deutsch? Französisch? Spanisch? Englisch? Oder in der von ihnen originell entwickelten Fantasiesprache? Zunächst zauberte Gitarren- und Banjo-Barde Benedikt Fischer für „Roja“ einen Didgeridoo-gutturalen Tiefton in die Boxen, ließ alle sofort aufhorchen. Attacke: hypnotisch mitreißender Rhythmus – Balkan-Beat elektrisch, unterfüttert vom agilen Drummer Felix Kuthe und dem singenden Bassisten Gregor Brändle. Zentral nun der stets tanzgestützte, magische Leadgesang der Daria Asmuss – hier espagnol! Erst seit Oktober 2020 läuft der steile Aufstieg des Neuzugangs zur Charme-offensiven Frontfrau, zur Botschafterin tief empfundener Begeisterung!

 

„Sonrisa“ lieferte neue Klangfarben in einer Art Discobeat: Benedikts Banjo, Jonas Krause an der Geige – das Ensemble groovte genau an den Klischees anderer Truppen vorbei, und es passte. Versuche nicht zu tanzen: fehlgeschlagen! Szene-Beifall. Wechselbass leitete die Polka „Le Calme Reviendra“ ein: Lukas Fischer an der gestopften Trompete. Klang wie ein Comedy-Soundtrack, wandelte sich zum Melancholischen dank Asmuss‘ Akkordeon, um dann wieder Fahrt aufzunehmen. „Monotonie“ lieferte klar das genaue Gegenteil, zeigt sich voller Rhythmus- und Stimmungswechsel, handelte zum rasanten „Radar Love“-Rhythmus der goldenen Ohrringe aus Den Haag ironisch vom Hoch auf’s Kapital – Bläserherrlichkeit, als Vorfreude auf den Jazzrausch? Wie Gaukler auf einem mittelalterlichen Marktplatz und doch stets am Puls alles europäisch Euphorisierenden agierten die Rasgas, beeindruckten mit dem dämonische Refrain von „Too Far“.

 

„Im Lockdown waren wir im Proberaum kreativ“, berichtete Daria, der folgende Song ist brandneu!“ „El Viento“ zauberte mit Jonas‘ Violine Klezmer-Klänge. Klasse auch ein Szenario mit Stand-Tom und einer Quetsch-Trommel wie aus dem Abrissbagger, als wenn First Nations mal Heavy Metal inszenierten. Aus dem aktuellen HAFEN FLEUR beeindruckte ein von elastischem Bass getriebenes „El Momento“ sowie posauniertes „Kitty Catty“, ein hitverdächtiges „Dandelion“ mit Jonas‘ blumenverziertem Bellfront-Baritonhorn und der besinnlich-treibende Rausschmeißer „Lighthouse“. Was für ein Klang-Kaleidoskop: Kein Wunder, dass dieses liebenswert hexende Sextett 2019 den Weltmusik-Wettbewerb „Creole NRW“ gewann.

 

 

Jazzrausch Bigband

Die massive Bläserfront mutete kurz an wie traditionelle Rundfunkorchester-Herrlichkeit à la Kurt Edelhagen: Harmonisch, kultiviert, Swing-verliebt. Der so gestaltete Opener „Mosaique“ entpuppte sich jedoch: Ein gefährlich pumpender Bass, energische Drums und amtlich flirrende PC-Beats brachten dem absolut hochbegabten Reeds- und Brass-Team den Untergrund, der den Dreiecksplatz sofort in ein pures Fegefeuer verwandelte: „Ist das geil, wie toll ist Gütersloh! Hier darf man sogar tanzen. Dagegen ist bei uns in München fast alles verboten“ deklamierte Roman Sladek, Bandleader und Posaunist der zwei Dutzend Jazzrauscher, und ergänzte ein „Ernst gemeint“, als seine Gütsel-Begeisterung für Lacher sorgte. „A 101“ legte in Sachen Raver-Groove noch eine Schüppe auf den Opener drauf – auch hier markierte weiblicher, gehauchter Sprechgesang von Alma Naidu und Patricia Römer aus dem Hintergrund wieder ein Jazzrausch-Markenzeichen.

 

Seit 2014 rauscht dieser kolossale Klangkörper bereits, berichtete Sladek – „fünf Jahre ließ man uns im legendären Münchner Techno-Club von Harry Klein in Ruhe wachsen – gesäugt mit Gin-Cocktails!“ Tatsächlich waren sie „Artists in Residence“, ließen Jungfolk schnappatmen. Das funkionierte bei uns auf der Wiese, es tanzten auch Senioren wie angestochen. Eigentlich hätte ein Arzt durch die längst stehende Menge waten müssen – Herzschrittmacher herunter regulieren. „Green Sun“ ließ uns mit verhaltenem Start erholen, lieferte sodann aber wieder Love Parade Beat, wie immer jedoch mit anständigem Melodiegehalt statt stumpfer Ecstasy-Elegie.

 

Reed-Mann Florian Leuschner arrangierte „Make Craft Perform“, so kündigte sich ein pulsierendes Werk mit Hollywood-esker Westernmelodie an, mit Jutta Keess an der Posaune – erstaunlich, wie Running-Gag-Robert alle Namen rausratterte. Zentralstück der Bigband war heuer die „Mondscheinsonate“ – Sladek hielt Ausschau nach dem aktuellen Vollmond über dem 3-Eck: „Beethoven hat gar nicht so sehr für Streichorchester komponiert, sondern eher für Techno-Bigbands!“ fabulierte der Bandleader. Man musste schon sehr vertraut sein mit dem Klassiker, um typische Elemente herauszuhören, übrigens schönes Sopran-Sax! Bis zum Scherzo mit subtilen Rhythmuswechseln hatte man sich gewöhnt – der dritte Satz, „das Largo natürlich“, belohnte die Tanzwut mit verträumten Passagen samt inspirierter Beckenarbeit und der Posaune des Chefs.

 

Hugo Balls „Der Literat“ wurde im Sprechgesang vorgetragen, mehr Techno! Reeds & Brass agierten wie in einem Spionage-Thriller. Bei „What It Is“ wurden die Beats – ging das noch? – ein weiteres Mal wilder: für den Bass des Georg Stirnweiss brauchte man nun ein Gesundheitszeugnis. Kaum Verschnaufen mit Josy Friebels Elektronik, dann wieder der Anschlag, diesmal mit Slow-Groove! „I Want To Be A Banana“ wurde angesagt als finales Stück, sehr langes, sehr schönes Stück! Ein letztes Mal tobte ein Videomann wie angestochen durch das Orchester, gab es Brass-Breitseiten wie beim Fliegeralarm: „Morgen Berliner Philharmonie, mit 2000 Leuten ausverkauft, wie soll man das toppen?“ wunderte sich Sladek und wusste die Antwort: „Nochmal Gütersloh!“ Zugaben wie „Möbius Strip“ zeigten noch einmal: Die Jazzrausch Bigband ist nichts für Feiglinge – aber durchaus für Feingeister!

Uli Twelker für die Kulturgemeinschaft Dreiecksplatz