WdkK'17 - Der Montag:

Unbreakable!
Wer im 3-Ecks-Dunstkreis am Montagmorgen um sieben den ergiebigen Regen registrierte, der wusste: Besser jetzt als am Abend, zum Auftakt der Woche der Kleinen Künste. Und siehe da, das Nachmittagsgewitter konnte nicht einmal den Soundchecks etwas anhaben.
Genau zwölf Stunden nach dem Monsun hatten sich die Bierzelt-Garnituren bei strahlendem Sonnenschein und Miami-Temperaturen bereits gut gefüllt; alle wussten ja: Wer schon um drei sein Sitzkissen hinlegt, muss es als gespendet abschreiben. Pünktlich um acht betrat WdKK-Chef Hans-Hermann Strandt entspannt die Bühne, wie immer zu Streichern im 6/8-Takt: „Theme From A Summer Place“ von Percy Faith – jener gefälligen Melodie, welche der böse Medien-Feldwebel in Good Morning Vietnam immer einforderte, wenn Robin Williams Jimi Hendrix spielte. Einen schwedischen Jazzabend bescherte Strandts Team:

Copyright Holger Rinne

Tingvall Trio
„In Deutschland ebenso populär wie international oder in Fernost“. MartinTingvall aus Schweden spielte auch schon solo in der (Schwäbisch) Haller Hospitalkirche, erscheint aber hier in seinem mit Echos und Jazz Awards geschmückten Dreierformat. Träumerisch, mystisch wie eine Vertonung von Schäreninseln beginnt es mit „Vägen“ aus dem gleichnamigen Album. „Muss ich stets wieder hören!“ raunt ein Fan neben dem Chronisten – es gelingt innerhalb des eingängigen Themas eine fulminante Steigerung. Rockiger Start dagegen beim „Bumerang“ aus der neuen LP/CD CIRKLAR: Dem Kubaner Omar Rodriguez Calvo gelingt ein harmonisches, geschmeidiges Contrabass-Solo ohne jegliches Beifall-Heischen – der kommt trotzdem – ehe Jürgen Spiegel die Nummer mit einer beherzten Drum-Passage auslotet. Ebenfalls aus der aktuellen Scheibe, beginnt Calvo das im lyrischen Mid-Tempo gehaltene „Vulkänen“: Der befindet sich noch vor dem Ausbruch, ehe Tingvall vom Piano aus Bass & Drums zu Eruptionen hinreißt. „Wie einst The Nice“, fühlt sich der Zuhörer neben mir an den unvergessenen Keith Emerson erinnert. Stetiger Blickkontakt zwischen Martin, Omar und Jürgen zeugt von einvernehmlichem Spaß, bei aller Lockerheit scheint alles streng durchkomponiert.
„Zwischen den Wolken“ beginnt traurig wie ein romantischer Filmsoundtrack, auch wie eine Vorahnung. Perlende Läufe von Tingvall. Calvo am Geigenbogen. Spiegel wie stets sicher, virtuos-inspiriert, dabei mannschaftsdienlich zuhörend. „Hjelten“ (Helden) erscheint verspielt, wir hören Klassik-Assoziationen als Jacques-Loussier-Weiterentwicklung; Bass-Solo trifft auf Wood-Percussion – ein wahres Feuerwerk. Schließlich beweist „Moustache“, charmant mit schwedischem Akzent samt Tanzaufforderung angesagt, dass beim Tingvall-Trio alle gleichberechtigt sind: Bass & Handtrommel nebst Hi-Hat beginnen einen wahren Latin-Taumel, geniale Snare ohne Teppich – wer mitzählt, hat schon verloren, und wer den 5/4-Takt sicher mittanzt, der hat Reserven.
„Es ist 20:43, hier ist Gütersloh!“ hätte Dieter Thomas Heck jetzt gerufen, und ein Tropen-taugliches Gewitter mit seitlich auf die Bühne peitschendem Starkregen würde ihn unter den Konzertflügel gefegt haben. Rette sich, wer kann? Nicht beim WdKK-Publikum: Lachende Gesichter schauen aus klatschnassen Klamotten, einige sitzen plaudernd an Holztischen, als sei der Regen als Hollywood-Fake vor unsere Kameras montiert, und eine augenscheinlich hellseherische Dame im schweren Wollponcho scheint komplett trocken geblieben. Das Dach im größten royalen Bierzelt gibt Wasserfälle frei, die selbst für schnelles Gläserreinigen zu heftig sind, und der Abend scheint zu Ende: Flügel und Anlagenteile werden zugehängt, laut Roadies „alle Kabel rausgerissen, alle mühsam gecheckten Mixe im Arsch! Alles geflutet!“
Um 22:00 Uhr entscheiden die Techniker sich trotz Feuchtigkeit für’s Weitermachen, hatten in punkto Isolierung vorgesorgt: „Ihr seid ein so großartiges Publikum, bei dieser Lage auszuharren“, lobt Hans-Hermann Strandt sein Publikum – weiter geht’s zum Glück mit dem


Haffner/Nils Landgren Quartett
High-End-Trommler Haffner hatte 2016 mit Max Mutzke den Dreiecksplatz überkochen lassen, freut sich nun wie ein Schneekönig, dass er trotz des Sturms ran darf mit dieser spannenden Formation: „Die Setlist werden wir natürlich komplett umreißen, verstärkt Gas geben.“ Vokalist und Posaunen-Innovator Nils Landgren versichert: „Wir werden so lange spielen, wie wir dürfen!“ Los geht’s mit „This Masquerade“. Von Leon Russell oder George Benson kennt das Publikum die Nummer als Ballade – hier wird härterer Beat unterlegt. Man glaubt der Formation Nils‘ Credo: „Es ist eine Freude, für Euch spielen zu dürfen!“ Frank Sinatra, B.B. King, Joe Bonamassa, Julie London – wer hat nicht alles Willie Nelsons „Nightlife“ gecovert? Landgren beginnt die bluesige Nummer so zart wie straight. Haffner aber sorgt dafür, dass sie zunehmend treibender daherkommt, und auch bei solch einem Klassiker vermag Nils‘ Posaune ihre ganz eigene Geschichte zu erzählen – kurz darauf tut Pianist Hubert Nuss es ihm nach: So wie er mit Bedacht und Sinn agiert für kongeniales Gesamtklangbild, so kommt er nun aus sich heraus – schließlich steht „Feurich“ auf dem Flügel!
Inzwischen agiert Haffner im T-Shirt, Landgren im Hawaii-Hemd: „Was kann schöner sein, als eine Nacht in Gütersloh zu verbringen?“ Gloria Gaynors „I Will Survive“ servieren sie als gebremsten, brodelnden Funk, und „was macht man, wenn man den Text vergisst? Startet von vorn.“ Nonchalanter als bei Landgren kann das nicht gehen; derweil legt Nuss wieder ausgeschlafene Pianoakkorde unter Nils‘ Trombone. Mit langsamem 4/4-Beat beginnt Haffners Instrumental „Silent Way“, perfekter Groove und Klang der Snare – Kompliment an die Gebrüder te Kaat am Mix – beim Trockeneisnebel fehlt nun nur noch der Touch Marihuana. Nach Bass- und Piano-Inspirationen schmückt Nils das Finale an der Posaune aus. Lebhafte Beckenarbeit führt in „Broken Wings“ zu Latin-Feeling, Nuss spielt sein wohl prickelndstes Pianosolo des Abends; Landgren & Co machen sich auch diese Mr Mister-Nummer zu eigen; Bassist Christian von Kapphengst bleibt wieder mal nichts anderes übrig, als den Laden an seinem 5-Saiter so sicher wie elastisch zu erden.
Nach Vorstellung der Band folgt Cannonball Adderleys „Walk Tall“ mit einem so explodierenden Wah-Wah-Effekt von Landgren, dass sein goldener Ohrring wahrlich vibriert – ein Drum & Bass-Solo kaschiert kurze Piano-Übertragungs-Ausfälle. Für „Stars in Your Eyes“ legt Haffner einen schönen Rhythmusteppich, zunächst mit Brushes, dann beherzt nach vorn und schließlich in funky Understatement. „What you’re gonna do“ iat Landgrens Mantra vor dem Trombone-Ausklang. Tosender Beifall der vielen Verweilenden, Zugabe:
„Get Out Of My Life Woman“ – straighter R&B: „Ihr habt ja lange gesessen“ – so gelingt Landgren finale Animation, die Menge tanzt ab – seine Posaune klingt wie ein Synthi!! Die Band ist selig –Nuss lässt es raus: „Jeder hat schon mit jedem hier gespielt, aber in dieser Besetzung war es das Debüt: Manchmal lernt man sich eben erst auf der Bühne kennen!“- „Schön, dass wir doch noch spielen durften“, strahlt Haffner nochmal, „wir hatten doch schon beim Soundcheck so viel Spaß.“ Kann ich bestätigen! Sheriff Jan Bobe fasst zusammen: „Ohne die Wetter-Dramatik hätte man diesen Abend ja irgendwann abgehakt, aber so?“ – „Unbreakable“, wie der Titel von Nils Landgrens aktuellem Album…

 

Uli Twelker für die Kulturgemeinschaft Dreiecksplatz