WdkK'17 - Der Mittwoch:

Snap your fingers, Gütersloh!
The Real Group zelebriert gegen halb elf - kongenial ausgeleuchtet – die politisch-philosophisch-klanglichen Dimensionen von „Water“. Vielstimmig in mitgeführte Flaschen hauchend, summend, singend, vollendet in Ausführung und Anmutung. Sechs Stunden zuvor wäre den skandinavischen Vokal-Akrobaten dieses Werk wohl als schwärzester britischer Humor ausgelegt worden: herrscht doch unendlich der „Monday Monsoon Memory Meltdown“ – was am Festivalmontag kurz und heftig ausbrach, weicht während des gesamten Mittwochs den Dreiecksplatz auf. Gegen sechs ist es vorbei, um acht sind die Bänke beachtlich gefüllt. Die vor Energie berstende Sarajane – keck im Mikromini – kann nun glücklich die Sonne sehen und will den entspannten Streichern unseres Percy Faith Intros mit der Wucht ihrer Aura & Band Paroli bieten: „Beinahe wäre ich eingeknickt und hätte mir in der Drogerie eine Strumpfhose gekauft, aber keine Chance!“

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Sarajane
Wie frech, charmant, schlagfertig, warmherzig und hochmusikalisch die deutsch-britische Sängerin, Namensgeberin und Bandleiterin sein kann, beweist sie seit Jahren als Backing-Lady und Sidekick Ina Müllers: Hier hat sie selbst zwei „Hurricane Girls“ am Start, dazu eine agile Truppe: einen präzisen Drummer zwischen sattem Beat und Samples, Guitar & Bass als Riff-verliebte Einheit, Start mit Bläsersatz:„We Want This“ strahlt wilde Lebensfreude aus: Genau diese Sounds wollen sie, brauchen sie. Ziel? Sich und uns beglücken. Mit „Too Beautiful“ vom Album-Debüt # Step One beginnt die junge Wilde mit „Snap your fingers, Gütersloh“ einen Midtempo-Ohrwurm, in dem sie die Band-Vorstellung singt: Mister Cello (g), Mister Jools (b), Mr Robin (dr), Miss Joscheba (Schnetter, voc) & Miss Yasmin (Khaleghi Motlagh, voc) – was für eine elegante, anmachende Performance!
„Will You Be There“ wird angekündigt als Testlauf, ob wir im Zweifel für einander da sind: Marschtrommelwirbel leiten Chart-tauglichen Rock ein, gefolgt von der packenden Percussion und dem grungigen Chorus von „Flying“.  „For You“ über das Lebensgefühl, sich 30 Quadratmeter  mit Freundinnen zu teilen, führt Sarajane ans Piano und lebt von parallel zelebrierten Gitarre-und-Bass-Einwürfen; derweil sucht Sarajane immer wieder Kontakt zum Publikum: Wer hinten steht und nicht vorne sitzen mag, erliegt eher dem Tanzvirus. „November“ wird durch seinen Chorus mit Sample-Echo und frecher Bassdrum-Synkopierung zum Hörerlebnis, entwickelt sich ekstatisch, ehe der „WakeupCall“ das Credo Sarajanes auf den Punkt bringt – „Wir tanzen uns unsere Sorgen weg!“
Durchgängig hören und sehen wir, wie diese Formation alles aufsaugt und dann besser widerspiegelt: geilere Bläsersätze, Joscheba und Yasmin mit effektvoll gesetzter Stimmführung und einer witzig-ironischen Choreo zum Niederknien. „Carousel Remix“ erzählt von Schwindelgefühlen im Riesenrad und lebt von einem wunderschönen Gitarrenthema, ehe Sarajane ihrem Publikum klarmacht, dass wir unsere Begeisterung für ihren Act ebenso mitteilen sollten wie „Scheiße finden“: „Auch schlechte Publicity ist Publicity, dann muss ich nicht ohne Höschen aus dem Auto steigen!“ Sie ist eben – wie sagt man politisch korrekt? – eine Rampenfrau! Old-School-Disco-Beat in „Friday Night“, gefolgt von dem härteren Uptemporocker „Moving Up“ samt dem Hauch eines Jumping-Jack-Flash-Zitats.
Die Zugabe „Maximum“ handelt davon, wie Lehrer zum Abi von Sarajane und Schulbuddy Max in den Schrank gesperrt werden: „Dass Ihr rumstehen könnt, habt Ihr bewiesen, tanzen auch, jetzt ist Singen dran!“ Hypnotischer Chorus, unbestritten, und wie die Hurricane Girls bei Breaks mitgehen, ist schon extrem sophisticated. Sarajane geht für die Papparazzi in die Hocke und haucht melodisch „Gütersloh, Ihr seid so viele, die bunten Wetterjacken strahlen uns an!“ Und „Applaus für die krasseste Band der Welt!“ Verdientermaßen.

The Real Group
Der Kontrast zwischen den Rhythmen und Riffs der Hamburger und den filigranen Stimmen der schwedisch-lettisch-dänischen A-Cappella-Legende könnte nicht extremer sein: Gleich mit dem Schönklang von „Bumble Bee“ wird klar, dass derartige Soundwechsel für die Gebrüder te Kaat keinerlei Probleme darstellen, das Klangbild wird so klar wie präzise abgebildet. Die elegant gewandeten Damen (zwei) und Herren (drei) sind dabei in angenehm flutendes, nie aufdringliches Licht Frank Stillers getaucht – Garant für den darbietungsdienlichen Effekt der ständigen Positionswechsel zwischen Solisten und Choristen. Dabei agieren die sympathischen Nordländer, allen voran Gründer Anders Edenroth, oft parallel mit zwei Mikros, um Gesang und Mundperkussion adäquat transportieren zu können.
„Prime Time Blues“ verneigt sich vor Manhattan Transfer, der „Waltz For Debbie“ tendiert eher in Richtung Swing, und „Since You’ve Been Gone“ (nicht mit dem Rod-Argent-Song für Rainbow zu verwechseln) weckt angenehme Assoziationen zum Beach-Boys-Mastermind Brian Wilson. Wir erhalten Klangmalerei in Vollendung bei „Drängstalle“, den lettischen Folksong „Tumsa Nackte“, bei dem zur Darstellung einer Wiese im Nebel die Schwaden mit Zischlauten nachgeahmt werden. Auch wer kein Wort versteht – und das sind hier wohl fast alle – kann den verhallten, fast kirchenhaften Klängen Wärme entnehmen und (wieder einmal) schlicht staunen, vor allem, wenn Janis Strazdins mit seinem klaren, kräftigen Bass die mystischen Klänge erdet, angeregt plaudernde Weg-Hörer zu sich holt und am Ende alle begeistert. „Words“ reflektiert mit spannenden Loops die Obsessionen von „the genuis & the fools“ mit der Kraft des Wortes, wonach sich Emma Nilsdötter und Lisa Östergren bei mittlerweile 13 Grad Jacken holen!
Mit „Catch Up!“ lässt sich das Ensemble einen besonderen Coup einfallen, von Tenor Morten Vinther charmant erläutert: Basierend auf dem alten Witz einer vom Truck überfahrenen Tomate, die ihren Fruchtfreund zum „Catch Up/Ketchup“ auffordert, wird das Publikum an einem Impro-Musical beteiligt: Das agierende Paar, das zu einem Konzert fährt, überrollt ein Gemüsepärchen und wird von der Polizei gestellt – die Zuhörer entscheiden über die Personen und die besuchte Band (sarajane!) – worauf alle gewählten Namen in die aufregend inszenierte Musicalshow eingebaut werden. Das ist so schwierig wie atemberaubend. Federleicht, witzig und mit einem Touch von „Vocalese“-Lautmalerei von Instrumenten, kommt als Erholung ein Tribute an das legendäre Trio Swe-Danes (1958-1962) mit Sängerin Alice Babs daher: „Scandinavian Shuffle“.
Einen ähnlichen Beweis, dass Humor und Genie oft nah beieinander liegen, liefert das Quintett mit einem Genre-typischen One-Liner für eine Country-Persiflage über das Konsumieren eines Zimt-(Franz-)Brötchens: „A Minute On Your Lips (A Lifetime On Your Hips)“ erzählt vom besagten „cinnamon roll“ und dem „Highway 66“, wird in herrlichem Nashville-Drawl zelebriert und nach der Bauern-Modulation mit Line-Dance-Schritten unterlegt. George Michaels „Freedom“ mit wahrlich ausgefuchster, erneut durch Loops gestützter Mouth-Percussion lässt alle Gütersloher wieder die Finger schnippen. Bei der Zugabe „Fiddler’s Song“ ohne Worte kommen die wundervollen Stimmen von Emma, Lisa, Morten, Janis und Anders ein letztes Mal zur Geltung, ehe alle in die mittlerweile kühle Nacht verabschiedet werden.
Für all diejenigen, die am Montag und Dienstag die bisherigen Rock-, Blues-, Funk-, Soul-, Fusion-, Pop-, Bossa-Nova- und Samba-Klänge für zu jazzlastig hielten, sei vorausgesagt, dass nach einem jazzfreien Mittwoch auch der Donnerstag höchstens Spurenelemente des Jazz enthalten wird, was immer jener Terminus zwischen Dixieland, Avantgarde und Elfenbeinküsten-Congas nun bedeutet.

Uli Twelker für die Kulturgemeinschaft Dreiecksplatz